Der Amtsarzt im ...

Abenteuer eines Amtsarztes
Unglaublich wahre Kurzgeschichten

... Lauf der Zeit

19. Heilpraktiker

Das Heilpraktikergesetz stammt noch aus dem Dritten Reich und hat alle Stürme der Zeit überdauert. Es regelt die Ausübung der Heilkunde durch Personen ohne Bestallung als Arzt. Das Gesundheitsamt hat darauf zu achten, dass niemand unerlaubt die Heilkunde ausübt, um Schaden von der Volksgesundheit abzuwenden. Garmisch-Partenkirchen ist offenkundig ein besonderer Anziehungspunkt für Scharlatane und Wunderheiler. In der Regel stellen diese aber ihr Wirken nach einem Besuch des Amtsarztes sehr abrupt wieder ein. Die folgenden Geschichten sollen dies veranschaulichen.

Der gelernte Friseur mit zugelegtem französischem Künstlernamen verhieß der Damenwelt ein 10 Jahre jüngeres Aussehen. Hierfür bot er mit Hochglanzbroschüre und Beweisfotos eine kosmetische Maskenbehandlung des Gesichtes mit Hautregeneration mittels einer Geheimrezeptur an. Erlernt hatte er die nach sich selbst benannte Methode in Amerika, auch hatte er in einschlägigen Frauenzeitschriften lobende Erwähnung gefunden. Auffällig war, dass seine Wirkungsstätten in Hotels und Sanatorien in Österreich und Deutschland häufig wechselten. Vor Beginn der 10-tägigen Bio-Lifting genannten Behandlung verlangte er 10.000 DM Honorar bar oder per Scheck. Beim Auftragen der Maske assistierte jeweils ein Arzt zur örtlichen Betäubung und Schmerzbekämpfung. Verständlicherweise fand der smarte Verjüngungsspezialist großen Zulauf. Als er in einem Garmischer Hotel sein Schönheitsinstitut im Beisein von Prominenz und unter entsprechender Würdigung in der Lokalpresse eröffnete, wurde der Amtsarzt auf den Plan gerufen. Ihn interessierte die berufliche Qualifikation - schließlich handelte es sich nach seiner Überzeugung um Ausübung der Heilkunde - sowie die ärztliche Zusammenarbeit. Gleichzeitig holte er Auskünfte bei den früheren Wirkungsstätten ein. Dabei zeigte sich, dass der Behandler keine Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz besaß und zudem gegen ihn bereits ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung und Betruges lief. Eine enttäuschte Kundin hatte Strafanzeige erstattet. Laut Hautarztbefund und Gutachten einer Universitätshautklinik hatte das durchgeführte exzessive Peeling bleibende Hautschäden verursacht. Sie litt dauerhaft unter Gesichtsverfärbungen, gesteigerter Hautempfindlichkeit, Spannungsgefühl, Brennen und sogar Schmerzen. Als der Amtsarzt zusätzlich wegen unerlaubter Ausübung der Heilkunde die Staatsanwaltschaft einschaltete, verschwand der Kosmetiker ganz anders als er gekommen war, nämlich sang- und klanglos aus Garmisch-Partenkirchen.

Mit dem gleichen Ergebnis endeten auch die Ermittlungen des Amtsarztes gegen einen selbsternannten Schweizer Vitalogen mit suspektem Doktortitel, der seine chiropraktischen Dienste an der Halswirbelsäule anbot. Der Wunderheiler war dem Gesundheitsamt von Ärzten gemeldet worden, als diese Patienten an ihn verloren. Seine Methode war sowohl in eigenen, als auch in groß aufgemachten Publikationen der Regenbogenpresse angepriesen worden. Nach diesen Berichten hatte er dem Filmstar Robert Redford und dem Skirennläufer Bernhard Russi helfen können. Die umfangreichen und wissenschaftlich verbrämten Ausführungen gipfelten in der Aussage, dass die vertebralen Subluxationen, also die Verschiebung der obersten beiden Halswirbelkörper, die Ursache für die meisten Krankheiten seien und sogar zu frühzeitigem Tod führen könnten. Die von ihm begründete Vitalogie sei die Lehre der Selbstheilung, eine neue Ganzheits-Naturheilkunst. Eine Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz konnte der Künstler nicht vorweisen. Seine Anwälte stellten sich auf den Standpunkt, dass sein Wirken keine Ausübung der Heilkunde sei, da er ja keine spezifischen Krankheiten behandle. Der Amtsarzt war gegenteiliger Ansicht und erwirkte eine Untersagung dieser Tätigkeit durch das Landratsamt. Daraufhin brach der Vitaloge seine Zelte in unserem Landkreis ab.

Anders gelagert war der Fall in unserer dritten Geschichte. Hier handelte es sich tatsächlich um einen Heilpraktiker mit entsprechender Erlaubnis, die ihm nach Überzeugung des Amtsarztes aber hätte entzogen werden müssen. Der Medizinmann hatte eine junge Patientin in seiner Praxis behandelt. Als diese über Kreislaufschwäche klagte, spritzte er ihr ein bestimmtes Arzneimittel. Daraufhin brach sie bewusstlos zusammen. Zunächst tat der Heilpraktiker das einzig Richtige und verständigte den Notarzt. Unter intensiv-medizinischen Maßnahmen kam die Patientin später wieder zu sich. Als der Oberarzt im Krankenhaus wissen wollte, wie und was er denn gespritzt habe, verweigerte der Heilpraktiker die Auskunft. Daraufhin wurde er wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt. Der vom Gericht hinzugezogene Sachverständige kam zu dem Schluss, dass das subcutan, also unter die Haut gespritzte Mittel bei dem Zustand der Patientin kontraindiziert war, weil es gefäßerweiternd wirkte. Dennoch wurde der Heilpraktiker freigesprochen. Das Gericht stellte in seiner Begründung (deren komplizierten und hölzernen Stil ich zu entschuldigen bitte) folgendes fest: "Der Beschuldigte konnte – bei einem Mangel genauerer medizinischer Kenntnisse, wie er in der Hauptverhandlung deutlich zutage trat – das von ihm gespritzte Medikament mit seiner gefäßerweiternden Wirkung mehr oder weniger laienhaft fälschlicherweise für indiziert gehalten haben, also für nicht gefährlich für die Patientin. Der Oberarzt als Zeuge konnte sich nicht mehr an die Einzelheiten des Ablaufs erinnern. Auch wenn er glaubte, den Angeklagten erfolglos gefragt zu haben, welches Mittel er der Patientin gespritzt habe, könne doch eine solche Frage in der heftigeren Auseinandersetzung untergegangen sein, sodass der Angeklagte nicht bewusst die Antwort verweigerte. Zudem ergaben sich aufgrund der Beweisaufnahme Zweifel daran, ob besagte Information durch den Angeklagten – deren Verweigerung gegenüber dem Oberarzt der Klinik ihm angelastet wurde – überhaupt noch erforderlich war für die weitere Behandlung. Auch nach Aussage des Zeugen war die Patientin eindeutig "über dem Berg", als der Arzt dann wissen wollte, welche Spritze der Angeklagte gegeben habe. Somit war der Angeklagte von dem gegen ihn erhobenen Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung gemäß § 323 c StGB freizusprechen." Fazit des Amtsarztes: Gerade weil der Heilpraktiker keine Ahnung hatte, konnte man ihm auch nichts vorwerfen. Die eingeschaltete Regierung sah angesichts des Freispruchs keine Handhabe, an der Heilpraktikererlaubnis zu rütteln. Dem Amtsarzt blieb nichts anderes übrig, als die Naturheilpraxis engmaschiger in hygienischer Hinsicht zu überprüfen. Aber das war es dann auch.

(1989)


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