Der Amtsarzt im ...

Abenteuer eines Amtsarztes
Unglaublich wahre Kurzgeschichten

... Lauf der Zeit

11. Der Pfarrer

Es ist an der Zeit, ein kleines Geheimnis zu lüften. Nämlich wie strikt das Gesundheitsamt den Datenschutz beachtet. Unsere Altakten werden, nachdem sie den Reißwolf passiert haben, von einem örtlichen Bestattungsunternehmer abgeholt und als aufsaugendes Material den Särgen beigegeben. So lagern unsere Aktenreste sicher und unerreichbar in den Friedhöfen unseres Landkreises. Der Leser wird sich natürlich fragen, was das mit dem Thema zu tun hat. Dazu bedarf es aber noch einer weiteren Einleitung. Ziel der Bestattungen ist es, dass der menschliche Körper möglichst bald wieder zu Erde und Staub wird. Wie eine für eine rasche und vollständige Verwesung geeignete Bodenbeschaffenheit auszusehen hat, ist in einer Ministerialentschließung aus dem Jahre 1911 beschrieben, die verständlicherweise bis heute nicht geändert werden musste. Von dieser Bodenzusammensetzung hängt die Ruhefrist ab, nach der ein Grab wieder belegt werden darf. Von Vorteil ist ein Boden, der aus Kies und Sand oder aus Kies und Lehm besteht oder ein Humus-Lehmboden, der reichlich mit Kies und Sand gemischt ist. Es ist unter allen Umständen zu vermeiden, dass die Grabessohle vom Grundwasser erreicht wird oder dass Särge in jene Zone zu liegen kommen, bis zu der das Wasser aufsteigt.

 Diese günstigen Gegebenheiten lagen beim kirchlichen Friedhof der Gemeinde H leider nicht vor. Vielmehr stand in dem moorigen Gebiet das Grundwasser fast bis zur Geländeoberkante an. Er wurde zwar schon seit Jahrhunderten genutzt, aber diese Zeit musste man wohl auch einrechnen, wenn man die langwierige Zersetzung von Leichenwachs betrachtete. Ein richtiges Problem kam erst auf, als ein gemeindlicher Friedhof mit besseren Untergrundverhältnissen errichtet wurde. Die Einheimischen wollten weiterhin auf dem vertrauten, aber ungeeigneten kirchlichen Begräbnisplatz bestattet werden und fanden hierbei volle Unterstützung beim Ortspfarrer. Für das Gesundheitsamt wiederum diente dessen Friedhof als negatives Anschauungsbeispiel. So wurde dem Lehrgang für Gesundheitsaufseher bei seiner jährlichen Exkursion jeweils ein geöffnetes Grab präsentiert, um die ungünstigen Auswirkungen eines hohen Grundwasserstandes vor Augen zu führen. Die Zielsetzung des Pfarrers hingegen war natürlich eine andere. Und so kam es, dass die Hygieneinspektoren einmal zu früh eintrafen und den Gottesmann in dreckverschmierter Soutane aus dem Grab steigen sahen, in der Aktentasche die eben eingesammelten Gebeine.

Aus dieser Zeit ist noch ein Beschwerdebrief dieses Pfarrers erhalten, aus dem im folgenden zitiert wird: "Ich benütze diese Gelegenheit, um über das üble Vorgehen des Gesundheitsamtes bei der Beerdigung der ledigen Antonie S. zu berichten. Es erschien der Gesundheitsaufseher und erklärte, dass er das Grab besichtigen solle. Gegen 12.30 Uhr zeigte sich, dass der Boden in einer Tiefe von 1,35 m feucht wurde. Der Gesundheitsaufseher machte am Boden des Grabes eine kleine Grube, in der sich Wasser sammelte. Darauf erklärte er, dass er vom Amtsarzt beauftragt sei, die Beerdigung zu verbieten, da die Leiche ins Wasser käme. Man stelle sich die Nöte der Familie S. vor, in die sie durch dieses intrigante Vorgehen und durch die Lieblosigkeit der Behördenmaßnahmen gekommen ist. Zuerst glauben sie, dass die Beerdigung im Elterngrab des alten Friedhofs, wo immerhin seit 700 Jahren beerdigt wird, stattfinden kann, dann muss schnell am nächstbesten Platz auf dem neuen Friedhof ein eigenes Grab gekauft werden. Wir wollten zuerst Beschwerde einreichen, auch beim Petitionsausschuss des bayerischen Landtags. Da aber nichts mehr dadurch anders wird, überlassen wir alles dem Gericht Gottes."

(1984)


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